Betriebliches Eingliederungs­management (BEM)

Marc-Oliver Schulze
Marc-Oliver Schulze
Fachanwalt für Arbeitsrecht und Datenschutzexperte

Das Wichtigste zum BEM in Kürze

  • Grundsätzlich: Alle Arbeitgeber sind verpflichtet Betriebliches Eingliederungsmanagement zu betreiben, wenn Beschäftigte länger als sechs Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind – das gilt unabhängig von der Betriebsgröße.
  • Wichtig: Führt der Arbeitgeber ein BEM nicht durch, kann dies Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers begründen.
  • Tipp: Sinn und Zweck der Maßnahme und ihre Auswirkungen sind in Hinblick auf den Kündigungsschutzprozess nicht zu unterschätzen.
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Was ist ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)?

Das betriebliche Eingliederungsmanagement, abgekürzt BEM, ist ein auf Initiative des Arbeitsgebers einzuleitendes Verfahren, das dem Erhalt der Gesundheit langfristig erkrankter Arbeitnehmer:innen am Arbeitsplatz dient. Es verfolgt den Zweck, einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen möglichst frühzeitig vorzubeugen. 

Es findet seine gesetzliche Grundlage in § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX

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Unter welchen Voraussetzungen ist ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) einzuleiten?

Die Voraussetzungen sind in § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX normiert. Dort heißt es:

„Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).“

Voraussetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist also, dass der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres (variabler 12-Monatszeitraum) länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. 

Sobald diese Zeitgrenze überschritten ist, muss der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer in Kontakt treten und ihm die Durchführung eines solchen betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) anbieten. Er hat dabei gemäß § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX, den Arbeitnehmer auf die Ziele des Verfahrens sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Er muss den Arbeitnehmer außerdem darüber informieren, dass der Arbeitnehmer seine Zustimmung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) auch mit der Maßgabe erteilen kann, dass der Betriebsrat an ihr nicht beteiligt wird. 

Führt der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nicht durch, kann dies Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers begründen.

Sind auch Arbeitnehmer ohne eine Schwerbehinderung von der Pflicht des Arbeitgebers, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen, betroffen?

Die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines solchen Verfahrens besteht nach herrschender Meinung auch gegenüber nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern.

Wie ist ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen?

Der Inhalt des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Die Literatur spricht hier von einem „verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess“. 

Eine bloße betriebsärztliche Untersuchung des Arbeitnehmers genügt zur Durchführung eines solchen Verfahrens nicht. Es wird vom Arbeitgeber aber auch nicht verlangt, bestimmte Vorschläge zu unterbreiten. Vielmehr kann jeder am betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) Beteiligte, also auch der Arbeitnehmer, alle für ihn positive Gesichtspunkte und Lösungsmöglichkeiten in das Gespräch einbringen. In der Praxis wird häufig der Versuch einer stufenweisen Wiedereingliederung unternommen, um die Arbeitskraft des Arbeitnehmers möglichst zügig und vollständig wieder herzustellen. Auch Maßnahmen zur Rehabilitation werden im Rahmen eines solchen Verfahrens häufig erörtert. 

Welche Hinweise muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) erteilen?

Die wichtigsten Informationen der verfahrens- und inhaltsbezogenen Hinweispflicht lauten:

  • Formeller Ablauf des BEM-Verfahrens, Grundsätze des ordnungsgemäßen BEM- Suchprozesses, beteiligte Stellen und Personen
  • Ziele des BEM-Verfahrens, Zweck der Datenverarbeitung, strikte Zweckbindung der verwendeten Daten, beschränkter Zugang des Arbeitgebers zu den Daten
  • Art und Umfang der zu verarbeitenden personenbezogenen Daten; Nachweis der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung (Datenerhebung und Datenverwendung)
  • Freiwilligkeit: Möglichkeit der Verweigerung der Zustimmung zur Durchführung des Verfahrens, Widerruflichkeit der Zustimmung und der Einwilligung, Hinweis auf Maßregelungsverbot bei Nichteinwilligung nach § BGB § 612a BGB oder der Weigerung, Art, Ausmaß und Hintergründe der Erkrankung zu offenbaren 
  • technisch-organisatorische Maßnahmen (z.B. Zugriffsrechte, -beschränkungen)
  • Mitwirkungsobliegenheit im eigenen Interesse der betroffenen Person, sich mit Gesichtspunkten und Lösungsvorschlägen aktiv in den ergebnisoffenen, kooperativen und unverstellten Suchprozess einzubringen 
  • beteiligte Parteien, befugte Personen, Hinzuziehung von weiteren Stellen und Personen
  • Maßnahmen zur Umsetzung der Vertraulichkeit und Informationen zur Schweigepflicht der BEM-Akteure einschließlich der ärztlichen Schweigepflicht des Betriebsarztes, Dokumentationspflichten des Arbeitgebers und 
  • Rechtsfolgen bei erteilter Zustimmung bzw. Nichtzustimmung bzw. Widerruf der Einwilligung.

Beachte: Eine bereits nicht ordnungsgemäße Aufklärung kann zu einem fehlerhaften BEM-Verfahren führen, das wiederum für den Arbeitgeber aufgrund einer höheren Darlegungs- und Beweislast in einem anschließenden Kündigungsschutzprozess erhebliche Nachteile begründen kann. 

Kann der Arbeitnehmer eine Vertrauensperson seiner Wahl bei der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) hinzuziehen?

Die Beantwortung dieser Frage ist inzwischen gesetzlich normiert. Gemäß § 167 Abs. 2 Satz 2 SGB IX können Arbeitnehmer zusätzlich eine Vertrauensperson ihrer Wahl hinzuziehen. Dies kann zum Beispiel der behandelnde Arzt, ein Familienangehöriger oder auch ein Rechtsbeistand sein, wenn die Hinzuziehung einer Umsetzung der Ziele des BEM-Klärungsprozesses dienlich ist. Die Kosten der Hinzuziehung einer Vertrauensperson eigener Wahl trägt der Arbeitnehmer.

Wer ist an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) zu beteiligen?

An dem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) sind neben dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer mit dessen Zustimmung folgende Interessenvertretungen zu beteiligen:

  • Betriebsrat: Die Beteiligung des Betriebsrates gegen den Willen des Arbeitnehmers ist nicht möglich.  Allerdings steht dem Betriebsrat ein Überwachungsrecht aus § 167 Abs. 2 Satz 7 SGB IX zu, das nicht von einer Zustimmung der Arbeitnehmer abhängig ist. Der Betriebsrat kann deshalb verlangen, dass der Arbeitgeber ihn in regelmäßigen Abständen darüber informiert, welche Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren. Weitere Informationen, wie beispielsweise darüber, wie sich der Arbeitnehmer zur Durchführung eines ihm angebotenen betrieblichen Eingliederungsmanagement geäußert hat, kann der Betriebsrat hingegen nicht verlangen.
  • Schwerbehindertenvertretung im Falle eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers
  • Werks-/Betriebsarzt 

Darüber hinaus sind unter bestimmten Voraussetzungen zu beteiligen:

  • Arbeitsagentur, Rentenversicherungsträger, Integrationsamt, Integrationsfachdienste, Krankenkasse:  Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht (z. B. Kostenübernahme für technische Arbeitshilfen, Eingliederungszuschüsse, Kostenerstattung für Probebeschäftigungen), müssen diese Institutionen hinzugezogen werden. 
  • Medizinische Dienst der Krankenkassen, Berufsgenossenschaft, Rentenversicherungsträger, Inklusionsbeauftragte, Fachkraft für Arbeitssicherheit oder der betriebliche soziale Ansprechpartner und ggf. Suchtbeauftragte 

Muss der Arbeitnehmer im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) die Ursache seiner anhaltenden Erkrankung offenbaren?

Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich – auch im Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) – nicht verpflichtet, die Krankheitsursachen/Diagnosen zu offenbaren oder die ihn behandelnden Ärzte von deren Schweigepflicht zu entbinden. Das BEM-Gespräch ist kein Gespräch „über” den Erkrankten, sondern ein Gespräch „mit” dem Erkrankten.

Muss der Arbeitnehmer an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) teilnehmen, wenn der Arbeitgeber ihn hierzu auffordert?

Für den Arbeitnehmer ist die Beteiligung grundsätzlich freiwillig. Er ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes „Herr des Verfahrens“ und kann daher beispielsweise auch beeinflussen, welche der in § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX genannten Stellen beteiligt und welche personenbezogenen Daten an sie weitergegeben werden. 

Die Ablehnung eines dem Arbeitnehmer angebotenen BEM-Verfahrens sollte jedoch in jedem Einzelfall gut überlegt sein. Zum einen können in einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) häufig mildere, dem Erhalt der Gesundheit dienende Mittel, z.B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden. Zum anderen kann sich eine Ablehnung für den Arbeitnehmer unter Umständen nachteilig in einem Kündigungsschutzprozess auswirken. Der Arbeitnehmer sollte sich deshalb frühzeitig anwaltlich beraten lassen, bevor er ein Angebot seines Arbeitgebers auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) ablehnt.

Welche Folgen hat es, wenn der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung kein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführt?

Eine krankheitsbedingte Kündigung, die ohne Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) ausgesprochen wird, verstößt gegen den sog. „ultima-ratio-Grundsatz“, es sei denn eine Kündigung hätte auch durch ein BEM-Verfahren nicht verhindert werden können. 

Letzteres ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn feststeht, dass die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit eines Arbeitnehmers ungewiss ist.  Dies wiederum ist z.B. der Fall bei einer Kündigung innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG. § 167 Abs. 2 SGB IX stellt nach der Rechtsprechung eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar, der außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung keine Anwendung findet. Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten lediglich im Falle einer Schwerbehinderung des erkrankten Arbeitnehmers.

Beachte: Hat der Arbeitgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ordnungsgemäß durchgeführt, kann der Arbeitnehmer in einem späteren Prozess keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten mehr geltend machen. Betroffenen Arbeitnehmern ist deshalb zu raten, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten – ggf. in Abstimmung mit den betrieblichen Interessenvertretungen – bereits in den BEM-Klärungsprozess in schriftlicher Form einzubringen. 

Die Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) ist im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Maßnahme und ihre Auswirkungen auf einen etwaigen Kündigungsschutzprozess nicht zu unterschätzen. Lassen Sie sich deshalb frühzeitig anwaltlich beraten.

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