Tschüss gelber Schein?!?

Tschüss gelber Schein?!?

Ab dem 01.01.2023 müssen Arbeitnehmer:innen ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht mehr in Papierform vorlegen sondern Arbeitgeber:innen und Steuerberater:innen können diese selbst bei der jeweiligen Krankenkasse auf elektronischen Wege abrufen.

Diese Neuerung war bereits am 18.09.2019 vom Bundestag beschlossen worden, aber der Termin wurde zunächst aus technischen Gründen und dann aufgrund der Sonderregelungen während der Corona-Pandemie zweimal verschoben. Die derzeit laufende Probephase endet zum 31.12.2022.

Was hat sich geändert?

Die Entgeltfortzahlung ist in § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz („EFZG“) geregelt. Ab dem 01.01.2023 enthält § 5 EFZG einen neuen Absatz (1a). Danach ist es nicht mehr notwendig, dass gesetzlich versicherte Arbeitnehmer:innen die AU-Bescheinigung vorlegen müssen und auch nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit von einem Kassenarzt festgestellt wurde. Atteste von ausschließlich privat abrechnenden Ärzten oder ausländischen Ärzten müssen weiterhin vorgelegt werden. Auch privat versicherte Arbeitnehmer:innen und geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten müssen weiterhin eine AU-Bescheinigung vorlegen.

Ab dem 01.01.2023 ist dann auch in § 109 SGB IV geregelt, dass die Krankenkassen die von den Kassenärzten:innnen erhaltenden Daten über die Arbeitsunfähigkeit den Arbeitgeber:innen zum Abruf bereitstellen müssen.

Was bedeutet das für die Arbeitnehmer:innnen?

Wichtig ist, dass sich an der Anzeigepflicht der Arbeitnehmer:innen, also der Pflicht den/die Arbeitgeber:in unverzüglich über die Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer zu informieren, nichts ändert. Es bleibt auch dabei, dass Arbeitnehmer:innen weiterhin verpflichtet sind, die Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer durch einen Arzt feststellen und sich selbst eine Arbeitsunfähigkeits-bescheinigung in Papierform aushändigen zu lassen. Mit der Neuerung entfällt zum 01.01.2023 nur die Pflicht zur Vorlage der AU-Bescheinigung und das auch nur für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer:innen.

Was bedeutet dies für den Arbeitgeber?

Im Falle der Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmer:innen, muss der/die Arbeitgeber:in die AU-bescheinigung ab dem 01.01.2023 bei der zuständigen Krankenkasse abrufen. Dabei darf keine pauschale Anfrage gestellt werden, sondern erst nach der Anzeige der Arbeitsunfähigkeit durch den/die Arbeitnehmer:in und auch erst ab dem Zeitpunkt, an dem die Verpflichtung zur Vorlage einer AU-Bescheinigung besteht. Das bedeutet, dass eine Anfrage erst dann zulässig ist, wenn die Pflicht besteht, die Arbeitsunfähig durch einen Arzt feststellen zu lassen. Dies ist nach dem Gesetz im Regelfall erst bei einer Arbeitsunfähigkeit von länger als drei Tagen der Fall; etwas anderes kann sich aus dem Arbeitsvertrag oder einer konkreten Weisung ergeben.
 
Mit der elektronischen AU-Bescheinigung erhält der/die Arbeitgeber:in neben dem Namen des/der Arbeitnehmer:in wie bisher nur die Daten zum Beginn und dem (voraussichtliches) Ende der Arbeitsunfähigkeit, dem Datum der ärztlichen Feststellung sowie der Kennzeichnung, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung handelt. Weitere Informationen, etwa zum Grund der Arbeitsunfähigkeit dürfen nicht übermittelt werden.

In den Unternehmen müssen daher die Prozesse verändert werden, um zu gewährleisten, dass die Daten rechtzeitig abgerufen und zum Beispiel auch bei der Lohnabrechnung berücksichtigt werden. Dabei ist auch Sorge dafür zu tragen, dass der Datenschutz eingehalten wird.

Wie ist der Betriebsrat zu beteiligen?

Neue Abläufe, insbesondere wenn es sich dabei um die Erhebung und Speicherung von Gesundheitsdaten handelt, unterliegen der Mitbestimmung des Betriebsrats. Die Mitbestimmungsrechte ergeben sich dabei insbesondere aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, etwa wenn im Zusammenhang mit der elektronischen AU-Bescheinigung im Betrieb formalisierte Krankengespräche eingeführt werden sollen.

Bei der Einführung eines neuen Systems oder Überarbeitung eines existierenden Systems zur Abfrage der elektronischen AU-Bescheinigung handelt es sich um die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen zur Überwachung des Verhaltens oder die Leistung der Arbeitnehmer gedacht oder zumindest geeignet sind. Damit besteht auch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Im Hinblick auf die Überwachungsfunktion des Betriebsrats beim Datenschutz, kann der Betriebsrat auch seine Rechte aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geltend machen.

Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass es sich bei der Einführung der elektronischen AU-Bescheinigung um gesetzliche Vorgaben handelt, die Arbeitgeber:innen umsetzen müssen. Damit dürfte wenig Spielraum für individuelle Gestaltungen bestehen. Da es sich jedoch um die Verarbeitung von Arbeitnehmerdaten handelt, die zum Beispiel bei personenbedingten Kündigungen eine Rolle spielen, sollten Betriebsräte ihre Mitbestimmungsrechte in jedem Fall geltend machen und darauf achten, dass die durch den/die Arbeitgeber gewonnenen Daten über die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Arbeitnehmer:innen nur zum eigentlichen Zweck genutzt werden.

Christian Heinzelmann

Fachanwalt für Arbeitsrecht *

Rechtsanwalt Christian Heinzelmann spezialisierte sich bereits während seines Studiums an der FAU Erlangen auf das Arbeitsrecht. Nach dem Referendariat in Nürnberg war Rechtsanwalt Heinzelmann über 15 Jahre in mittelständischen Kanzleien im Großraum Nürnberg/Fürth/Erlangen mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht tätig, zuletzt in einer größeren wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Kanzlei in Erlangen.

Alle Beiträge von Christian Heinzelmann