Annahmeverzugslohn bei widersprüchlichem Verhalten des Arbeitgebers
Einer der Grundsätze des Arbeitsrechts ist „kein Lohn ohne Arbeit“. Wie jeder Grundsatz kennt auch dieser Ausnahmen. So hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Beispiel weiter zu vergüten, wenn der Arbeitnehmer zwar arbeiten will und könnte, der Arbeitgeber die Arbeitsleistung aber pflichtwidrig nicht annimmt. Es handelt sich um den sogenannten Annahmeverzugslohn, der aus § 615 BGB folgt und den Lohnanspruch des Arbeitnehmers aufrechterhält.
Widersprüchliches Arbeitgeberverhalten
Dem nun vom BAG entschiedenen Fall (BAG vom 29.03.2023, 5 AZR 255/22), in dem der Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn für die Zeit bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigungen verlangte, lag eine insofern skurrile Konstellation zugrunde: Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer im Dezember 2019 eine fristlose Änderungskündigung ausgesprochen, nach der der Arbeitnehmer zu deutlich schlechteren Konditionen weiterbeschäftigt worden wäre. Als Kündigungsgründe benannte der Arbeitgeber vielfältiges Fehlverhalten des Arbeitnehmers. Im Kündigungsschreiben führte der Arbeitgeber allerdings zusätzlich aus, für den Fall, dass der Arbeitnehmer die außerordentliche Kündigung ablehne, erwarte man ihn wie gewohnt zum Arbeitsantritt. Nachdem der Arbeitnehmer daraufhin nicht zur Arbeit erschien, kündigte der Arbeitgeber erneut fristlos und ließ wieder wissen, im Falle der Ablehnung auch dieser Kündigung erwarte man den Arbeitnehmer dennoch zum Dienstantritt. Im Kündigungsschutzprozess führte der Arbeitgeber aus, die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei ihm aus den in der Kündigung genannten Gründen unzumutbar gewesen.
Im Ergebnis wollte der Arbeitgeber nach eigener Darstellung also dem Arbeitnehmer wegen angeblicher schwerer Verfehlungen, die eine Weiterbeschäftigung unzumutbar machten, kündigen – und ihn im Fall der Ablehnung dieser Kündigung dennoch weiterbeschäftigen. Das hat das BAG zurecht für widersprüchlich gehalten.
BAG entscheidet zugunsten des Arbeitnehmers – kein fehlender Leistungswille und kein böswilliges Unterlassen
Denn wenn die angeblichen Verfehlungen des Arbeitnehmers so schwerwiegend gewesen wären, dass sie eine außerordentliche Kündigung rechtfertigten, dann würde der Arbeitgeber sich nicht gleichzeitig offen für eine Weiterbeschäftigung zeigen. Für das BAG war ausschlaggebend, dass der Arbeitgeber selbst eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ausweislich der Kündigungsgründe für unzumutbar hielt. Es spreche daher eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Weiterbeschäftigungsangebot nicht ernstgemeint war. Vielmehr bezweckte der Arbeitgeber lediglich, die rechtlichen Folgen des Annahmeverzugslohns zu vereiteln. Die Vermutung kann – wie hier – durch die Begründung der Kündigung bestätigt oder durch gegenteilige Darlegungen des Arbeitgebers entkräftet werden. Die fehlende Ernsthaftigkeit des „Angebots“ führte dazu, dass aus der Ablehnung dieses Angebots durch den Arbeitnehmer auch nicht auf seinen (den Annahmeverzugslohn ausschließenden) fehlenden Leistungswillen im Sinne des § 297 BGB geschlossen werden konnte: Das widersprüchliche Angebot konnte ohne negative Folgen abgelehnt werden.
Der Annahmeverzugslohn war auch nicht wegen § 615 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 11 Nr. 2 KSchG zu mindern. Denn der Arbeitnehmer hatte es nicht böswillig unterlassen, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Die Arbeitsaufnahme beim kündigenden Arbeitgeber sei dem Arbeitnehmer gerade nicht mehr zumutbar gewesen. Denn der Arbeitgeber hatte die Kündigung mit herabwürdigenden Behauptungen über den Arbeitnehmer begründet. Dies erlaubte es dem Arbeitnehmer, ohne Obliegenheitsverstoß die Weiterbeschäftigung abzulehnen.
Kein widersprüchliches Arbeitnehmerverhalten
Schließlich verhielt sich der Arbeitnehmer auch nicht selbst widersprüchlich, indem er einen Weiterbeschäftigungsantrag stellte, ohne auf das – nicht ernstliche – Weiterbeschäftigungsangebot des Arbeitgebers einzugehen. Denn der Weiterbeschäftigungsantrag des Arbeitnehmers bezog sich auf eine Weiterbeschäftigung nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage. In dem Fall wäre er aber hinsichtlich der herabwürdigenden Kündigungsbegründung durch das Gericht rehabilitiert worden und hätte deshalb die Beschäftigung in zumutbarer Weise wieder aufnehmen können.