Selbstbestimmungs­gesetz und Arbeitswelt

Selbstbestimmungs­gesetz und Arbeitswelt

Mit dem Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) am 1. November 2024 wurde das bisherige Transsexuellengesetz (TSG) ersetzt. Es ermöglicht Personen ihren Geschlechtseintrag sowie ihre Vornamen durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu ändern, ohne die Notwendigkeit eines psychologischen Gutachtes oder gerichtlicher Entscheidungen. Damit wird das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung gestärkt. Denn bereits seit 1987 wurde vom Bundeverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 1 Abs.1 GG) auch das Recht auf Finden und Anerkennung der eigenen geschlechtlichen Identität umfasst. Hierbei geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass es als wissenschaftliche Erkenntnis gilt, dass Geschlecht nicht allein aufgrund physischer Merkmale bestimmbar ist.

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) stellt somit eine bedeutende rechtliche Neuerung dar. In den Debatten um Fragen des Zugangs zu geschlechtsgetrennten Räumen wie Toiletten, Umkleiden, Saunen oder Frauenhäusern, blieben praktische Anwendungsfragen für die Arbeitswelt eher außen vor. Dabei hat das Selbstbestimmungsgesetz auch große Auswirkungen in der Arbeitswelt.

Welche Änderungen das SBGG für die Arbeitswelt mit sich bringt und welche Rechte betroffenen Arbeitnehmer*innen zustehen, wird im folgenden Artikel erläutert.

Namens- und Geschlechtsänderung 

Nach dem Grundsatz der Datenrichtigkeit (Art. 16 DSGVO) sind Arbeitgebende bei geändertem Namen und Geschlecht verpflichtet die Stammdaten entsprechend anzupassen. Auch Signaturen, E-Mail-Adressen und weitere Angaben, die einen Rückschluss auf das Geschlecht zulassen, müssen geändert werden. Zudem können Arbeitnehmer*innen die Neuausstellung von Arbeitszeugnissen und anderen relevanten Dokumenten verlangen, wie zum Beispiel Ausbildungs- und Dienstverträge, sofern sie ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen, § 10 Abs. 2 SBGG. 

Eine Nichtanerkennung dieser Änderungen kann ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen geschlechtlicher Diskriminierung darstellen. 

Offenbarungsverbot 

Ein zentrales Element des SBGG ist das Offenbarungsverbot nach § 13 SBGG. Arbeitgebende dürfen frühere Geschlechtseinträge und Vornamen nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Person offenbaren oder ausforschen. Verstöße gegen diese Regelung können mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro geahndet werden (§ 14 SBGG).

Zugang zu geschlechtsspezifischen Räumen und Angeboten

Nach einer Änderung des Geschlechtseintrags haben Arbeitnehmer*innen das Recht, geschlechtsspezifische Räume (z. B. Toiletten und Umkleideräume) entsprechend ihrem neuen Eintrag zu nutzen. Arbeitgebende dürfen den Zugang nicht verwehren, auch wenn es bei anderen Mitarbeitenden dadurch zu Irritationen kommt. Subjektive Empfindungen anderer rechtfertigen keine Benachteiligung. Im Falle einer Zugangsverweigerung liegt eine Benachteiligung des Geschlechts (§§ 7, 1 AGG) vor. Hier kann ein verschuldensunabhängiger Entschädigungsanspruch begründet sein, § 15 Abs. 2 AGG.

Arbeitnehmende dürfen nach einer Änderung auch nicht dazu verpflichtet werden, Uni-Sex-Toiletten oder weiterhin die Toiletten nach ihrem früheren Geschlechtseintrag zu nutzen, da dies sonst gegen das Offenbarungsverbot nach § 13 SBGG verstoßen würde. 

Die Rechtsprechung hat noch nicht geklärt, inwiefern ein Zugangsanspruch von trans*Personen ohne Änderung des Geschlechtseintrags besteht.

Laut Arbeitsstättenverordnung muss weiterhin eine geschlechtergetrennte Nutzung von Toiletten und Umkleiden ermöglicht werden, weshalb die Abschaffung von geschlechtsspezifischen Räumen nach derzeitigem Wortlaut nicht in Frage kommt (vgl. Anh. 4.1. ArbStättV). Damit ist zumindest die vollständige Umstellung auf Uni-Sex-Räume ausgeschlossen. 

Quotenregelungen in Gremien

Die Folgen des SBGG für gesetzliche Geschlechterquoten werden durch § 7 SBGG geregelt. Maßgeblich ist nach Abs. 1 das eingetragene Geschlecht zum Zeitpunkt der Besetzung. Ändert sich der Geschlechtseintrag nach der Besetzung, soll dies nach Abs. 2 erst bei der nächsten Besetzung Berücksichtigung finden. Relevant ist dies zum Beispiel für die gesetzliche Geschlechterquote des Minderheitengeschlechts im Betriebsrat nach § 15 Abs. 2 BetrVG. Wie Personen mit diversem Geschlechtseintrag zu berücksichtigen sind, ist allerdings unklar. § 7 Abs. 1 SBGG spricht nur von weiblichem und männlichem Geschlecht. 

Entgelttransparenzgesetz

Das SBGG hat auch Auswirkungen auf das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG).  Nach § 3 EntgTranspG gilt das Gebot der Entgeltgleichheit (§ 3 EntgTranspG), also die Verpflichtung gleiche und gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht gleich zu entlohnen. Um die Durchsetzung dieses Grundsatzes zu gewährleisten, haben Beschäftigte nach § 10 EntgTranspG einen individuellen Auskunftsanspruch. Als Vergleichsgruppe dient immer das jeweils andere Geschlecht, wodurch sich bei einer Änderung des Geschlechtseintrags nach dem SBGG die maßgebliche Vergleichsgruppe ändert. 

Das EntgTranspG basiert auf einem binären Geschlechterverständnis und zielt ausschließlich auf die Beseitigung des Einkommensgefälles zwischen Männern und Frauen (§ 1 EntgTranspG) ab.  Daher ist die Entgeltdiskriminierung nicht-binärer Personen derzeit nicht umfasst. 

Ausblick

Das Selbstbestimmungsgesetz markiert einen bedeutenden Fortschritt für die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären Personen. Arbeitgebende müssen sich proaktiv mit den neuen Regelungen auseinandersetzen, um ein inklusives und diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Rechtlicher Klärung bedarf, wie damit umzugehen ist, dass vielen Gesetzten ein binäres Geschlechterverständnis zugrunde liegt und Personen mit diversem Geschlechtseintrag nicht berücksichtigt werden. 

Waghma Kopp

Rechtsanwältin *

Rechtsanwältin Waghma Kopp ist bei AfA in allen Angelegenheiten des Individual- und Kollektiv-Arbeitsrechts tätig. Neben der bundesweiten Vertretung von Betriebsräten in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren sowie in Einigungsstellen berät sie diese auch bei der Erstellung von Betriebsvereinbarungen. Wenn nötig, vertritt sie Betriebsratsgremien auch in Beschlussverfahren und in Verfahren vor der Einigungsstelle. Als Referentin schult sie regelmäßig Betriebsräte in sämtlichen betriebsverfassungsrechtlichen Themen.

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