Keine Beweiserleichterung für Arbeitnehmer bei Überstunden

Keine Beweiserleichterung für Arbeitnehmer bei Überstunden
Claudio Schwarz - unsplash.com

Überstunden sind ein wiederkehrendes und leidiges Thema, sowohl für die Arbeitnehmer, die bei hoher Arbeitsbelastung immer wieder Überstunden verrichten müssen, als auch bei den Arbeitsgerichten, die sich mit den oft anschließenden Streitigkeiten auseinandersetzen müssen.

Bis zu einer Entscheidung des EuGHs aus dem Jahr 2019, war die Darlegungs- und Beweislast an deutschen Arbeitsgerichten, aufgrund einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, klar zu Gunsten von Arbeitgebern geregelt. Danach muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen können, welche Tätigkeit er ausgeübt hat und dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet oder gebilligt worden sind. 

Das EuGH-Urteil (vom 14. Mai 2019) zur Arbeitszeiterfassung warf zuletzt Zweifel auf, ob hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast für Überstunden die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung so fortgeführt werden kann. In der Entscheidung des EuGHs wurde entschieden, dass die geleistete Arbeitszeit von Arbeitgebern erfasst und dokumentiert werden müsse, um die Vorgaben der europäischen Arbeitszeitrichtlinie einhalten zu können.  Konkret stand daher in Frage, ob Arbeitgeber die Überstundenforderungen der Beschäftigten anerkennen müssen, wenn sie kein Zeiterfassungssystem eingeführt haben. 

Das erstinstanzliche Arbeitsgericht Emden (Urt. v. 9.11.2020, Az.: 2 Ca 399/18) sprach trotz Beweisfälligkeit dem Arbeitnehmer die Vergütung der Überstunden zu. Im zu entscheidenden Fall war der Arbeitnehmer als Auslieferungsfahrer für ein Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Der Arbeitgeber erfasste zwar die tägliche Arbeitszeit jeweils zum Beginn und zum Ende des Arbeitstages mit einer technischen Zeitaufzeichnung jedoch ohne eine Pausenzeitenerfassung. Der Arbeitnehmer machte schließlich Überstunden geltend. Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung und berief sich darauf, dass die Pausenzeiten noch berücksichtigt werden müssten. Laut des Arbeitnehmers habe es keine Möglichkeit zur Pause gegeben.   

Das Arbeitsgericht Emden berief sich bei seiner Entscheidung auf das Urteil des EuGHs. Auf Grundlage dessen sah es eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Messung und Aufzeichnung der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer. Komme ein Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nach, gehe dies hinsichtlich der Beweis- und Darlegungslast zu seinen Lasten. Denn die Nichterfassung stelle eine Beweisvereitelung durch den Arbeitgeber dar, was zu einer Beweislastumkehr führe.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 04.05.2022, Az. 5 AZR 359/21) hat nun klarstellend dargelegt, dass es bei der üblichen Darlegungs- und Beweislast für Arbeitnehmer bei Überstunden bleibt. So entschied es, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet sei, dem Fahrer die geforderte Überstundenvergütung zu zahlen. In der Begründung verwies es darauf, dass das Urteil des EuGHs sich lediglich auf Aspekte der Arbeitszeitgestaltung beschränke und dem damit bezweckten Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Auf die Streitfrage nach der Vergütung seien die vom EuGH aufgestellten Grundsätze daher grundsätzlich nicht anwendbar.

Marc-Oliver Schulze

Fachanwalt für Arbeitsrecht und Datenschutzexperte

Rechtsanwalt Marc-Oliver Schulze unterstützt Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte und Konzernbetriebsräte deutschlandweit, u.a. bei Interessenausgleich- und Sozialplanverhandlungen (auch in der Insolvenz), in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, in der Einigungsstelle und bei der Erstellung von Betriebsvereinbarungen.

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