Keine Arbeitszeiterfassung mittels Fingerabdruck ohne Einwilligung – ArbG Berlin, Urteil vom 16.10.2019 – 29 Ca 5451/19

Keine Arbeitszeiterfassung mittels Fingerabdruck ohne Einwilligung – ArbG Berlin, Urteil vom 16.10.2019 – 29 Ca 5451/19
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Amtlicher Leitsatz: „Die Arbeitszeiterfassung durch ein Zeiterfassungssystem mittels Fingerprint ist nicht erforderlich im Sinne von § 26 Abs. 1 BDSG und damit ohne Einwilligung der betroffenen Person nicht zulässig.“

Zum Sachverhalt: Arbeitnehmer verweigert die Zeiterfassung mit Fingerabdruck-Authentifizierung

Der Kläger ist bei der Beklagten als MRT-Assistent tätig. Die Beschäftigten vermerkten ihre Arbeitszeit, inklusive der geleisteten Mehrarbeit, sowie ihre Einsatzwünsche handschriftlich auf einem ausgelegten Dienstplan. Eine Überprüfung der so erfassten Arbeitszeit fand nicht statt. Vereinzelt wurden abweichende Arbeitszeiten auch mündlich nachgereicht. Ende Juli 2018 wurden die Beschäftigten informiert, dass ab 01. August 2018 das Zeiterfassungssystem Modell „Zeus“ eingeführt werde und ab diesem Zeitpunkt nur noch die über das System ermittelten Arbeitszeiten gelten. Die An- und Abmeldung der Beschäftigten am Terminal des Zeiterfassungssystems erfolgt durch Abgleich des Fingerabdrucks. Für die Profilerstellung wurde mittels eines Algorithmus aus dem jeweiligen Fingerabdruck des Beschäftigten individuelle Fingerlinienverzweigungen, sogenannte Minutien, extrahiert. Aus diesem Datensatz ist es nicht möglich den Fingerabdruck wieder zu generieren. Eine Speicherung des Fingerabdrucks selbst erfolgte daher nicht.
Der Kläger trug – entgegen der Anweisung der Beklagten – weiterhin seine Arbeitszeit nur handschriftlich in den Dienstplan ein und erteilte keine Einwilligung in die Nutzung des Systems. Deswegen wurde er von der Beklagten wiederholt abgemahnt. Er klagte auf Entfernungen dieser Abmahnungen aus seiner Personalakte

Zum Urteil: Arbeitszeiterfassung mittels Fingerprint ohne Einwilligung des Klägers ist unzulässig.

Der Kläger hat gem. §§ 242, 1004 Absatz 1 Satz 1 BGB analog einen Anspruch auf die Entfernung der zu Unrecht erteilten Abmahnungen, denn er ist nicht verpflichtet das Zeiterfassungssystem „Zeus“ zu nutzen. Die zur An- und Abmeldung genutzte Minutiendatensätze sind nach datenschutzrechtlicher Einordnung biometrische Daten gemäß Art. 9 Absatz 1 DSGVO und fallen damit in die Kategorie der besonderen personenbezogenen Daten. Im Grundsatz ist die Verarbeitung jeglicher Daten untersagt. Dieser Grundsatz wird im Datenschutz als „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ bezeichnet. Die DSGVO iVm. dem BDSG lässt die Verarbeitung besonderer personenbezogener Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses in Ausnahmefällen jedoch zu, § 26 Absatz 3 BDSG. Da im vorliegenden Fall auch keine Kollektivvereinbarung vorlag und der Kläger nicht in die Verarbeitung freiwillig eingewilligt hatte, musste das Gericht prüfen, ob die Datenverarbeitung nach den gesetzlichen Voraussetzungen erforderlich und damit erlaubt war. Im Ergebnis lehnte das Gericht die Erforderlichkeit ab. Es sah die Verwendung des Minutiendatensatzes als intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers an. Das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der korrekten Arbeitszeiterfassung müsse hier hinter den Interessen der Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung zurückstehen. Je intensiver der Eingriff sei, desto schwerer müsse der vom Arbeitgeber mit der Verarbeitung verfolgte Zweck wiegen. Das Gericht führte weiter aus, dass es hier aber weder um den Schutz von sensiblen Geschäftsbereichen ginge, noch läge ein Missbrauch der alten Zeiterfassungsmethode (z.B. durch Falscheintragungen) in nur nennenswertem Umfang vor. Auch das Verhalten des Klägers sei in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden.

Fazit: Keine Erforderlichkeit der Verwendung von biometrischen Daten zur Arbeitszeiterfassung. 

In der Ablehnung der Erforderlichkeit der Verarbeitung von biometrischen Daten zur Arbeitszeiterfassung bestand bereits überwiegend Konsens unter den Landesdatenschutzbeauftragen. Hieran knüpft diese Entscheidung vom Arbeitsgericht Berlin an. Nachdem der EuGH mit seinem Urteil vom 14.5.2019 (C-55/18) den Mitgliedstaaten aufgegeben hat die Arbeitgeber gesetzlich zu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, könnte die „Erforderlichkeit“ unter diesen Umständen aber neu zu bewerten sein. Es drängt sich somit die Frage auf, ob die Verarbeitung der biometrischen Daten nun doch auf Grund der Entscheidung des EuGHs für eine objektive und verlässliche Arbeitszeiterfassung in der Zukunft erforderlich sein wird. Da jedoch den Mitgliedstaaten durch das Urteil nicht aufgegeben wird, dass die Arbeitszeiterfassung zwingend durch den Arbeitgeber zu erfolgen hat, ist dem nationalen Gesetzgeber ein Spielraum bei der Umsetzung eröffnet. Das geforderte objektive, verlässliche und zugängliche System kann bereits durch eine Eigendokumentation durch den Beschäftigten erreicht werden. Eine generelle Annahme der Erforderlichkeit der Verarbeitung von biometrischen Daten zur Arbeitszeiterfassung gemäß § 26 Absatz 3 BDSG ist folglich auch nicht zu erwarten.

Evgeny Khazanov

Rechtsanwalt

Rechtsanwalt Evgeny Khazanov ist bei AfA in allen Angelegenheiten des Individual- und Kollektiv-Arbeitsrechts tätig. Er spricht fließend Englisch und Russisch und betreut daher regelmäßig internationale Mandanten.

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