BAG: Unterschiedlich hohe Nachtzuschläge rechtens
Eine tarifvertragliche Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag bestimmt als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Das hat das BAG in seinem Urteil vom 22. Februar 2023 entschieden.
Zum Sachverhalt: Eine Coca-Cola Mitarbeiterin wollte für ihre regelmäßige Nachtarbeit die gleichen Nachtarbeitszuschläge bekommen als Mitarbeiter:innen in unregelmäßiger Nachtarbeit
In dem Fall klagte eine Mitarbeiterin von Coca-Cola in Berlin. Nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost wird für regelmäßige Nachtarbeit in Schichten ein Zuschlag von 20 Prozent gewährt, während für unregelmäßige Nachtarbeit ein Zuschlag von 50 Prozent gewährt wird. Arbeitnehmer:innen, die Dauernachtarbeit leisten oder in einem 3-Schicht-Wechsel eingesetzt werden, haben daneben für je 20 geleistete Nachtschichten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit. Die regelmäßig nachts arbeitende Klägerin verlangte, dass ihr die Differenz zwischen 20 und 50 Prozent Nachtzuschlag erstattet wird.
Die gesetzliche Lage: Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG
Die Klägerin war der Meinung, dass die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen würde. Schon 2018 entschied das BAG, dass Tarifverträge am Gleichheitssatz zu messen sind. Ungleichbehandlungen sind jedoch dann zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sind.
Ausnahmsweise: Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung durch sachlichen Grund
Die Klägerin war der Ansicht, dass ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung nur unter dem Aspekt des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bestehen könnte und ein solcher Grund bestünde vorliegend nicht. Anders sahen es die obersten Richter:innen in Erfurt, die im hiesigen Fall einen erkennbaren sachlichen Grund aus dem Tarifvertrag als gegeben ansahen. Den Tarifvertragsparteien steht es im Rahmen der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) frei, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Auch der Ausgleich für die schlechtere Planbarkeit von spontanen Arbeitseinsätzen kann als sachlicher Grund die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge erfolgt nicht, denn es liegt im Ermessen der Tarifvertragsparteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen.
Signalwirkung des Urteils
Die Entscheidung des BAG hat Signalwirkung für etwa 6000 Klagen zu Nachtarbeitszuschlägen bei den Arbeitsgerichten. Allein 400 Klagen sind beim BAG gelandet. Mit dem Urteil des BAG hat es das weitere Vorgehen für die zu prüfenden unterschiedlichen Tarifverträge vorgegeben. Es ist für jeden Tarifvertrag zu klären, ob sich aus diesem ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung der Beschäftigten bei den Nachtzuschlägen ergibt.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.02.2023 – 10 AZR 332/20 –