Arbeitnehmer­freundliche Entscheidung des BAG: Urlaub verjährt nicht automatisch

Arbeitnehmer­freundliche Entscheidung des BAG: Urlaub verjährt nicht automatisch

Am 20.12.2022 (9 AZR 266/20) urteilte das BAG: der gesetzliche Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers kann erst verjähren, sobald der Arbeitgeber seiner Pflicht nachgekommen ist, ihn explizit auf seinen Anspruch und den drohenden Verfall hinzuweisen. Hält der Arbeitgeber diese Pflicht nicht ein, können sich Urlaubsansprüche über mehrere Jahre hinweg anhäufen, sie verjähren nicht automatisch nach drei Jahren.

Der Ausgangsfall: die Klägerin war vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 bei der Beklagten als Steuerfachangestellte beschäftigt. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses zahlte die beklagte Arbeitgeberin 14 nicht genommene Urlaubstage aus dem Jahr 2017 aus. Die Arbeitnehmerin machte die Abgeltung von weiteren nicht genommenen Urlaubstagen aus den Jahren 2013-2016 geltend. Die Arbeitgeberin verweigerte dies, da die Ansprüche verjährt seien. Während das ArbG Solingen (Urteil vom 19.02.2019, 3 Ca 155/18) diesem Einwand noch stattgab und die Klage abwies, sah das LAG Düsseldorf (Urteil vom 21.02.2020, 10 Sa 180/19) aufgrund von unionsrechtlichen Arbeitsschutzbestimmungen weder einen Verfall noch eine Verjährung als einschlägig an, da die Arbeitgeberin nicht darauf hingewirkt hatte, dass die Arbeitnehmerin ihren Urlaub nimmt. Letzterem stimmte das BAG nun zu.

Mit diesem Urteil setzt das BAG die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aus der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (C-120/21) um, die statuiert, dass der Zweck der Verjährungsfristen im Fall der unterbliebenen Hinweispflicht hinter dem Zweck der Urlaubsgewährung zurücktreten müsse. Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers dient dem Gesundheitsschutz und ist unionsrechtlich in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sowie in Art. 7 der Arbeitszeitgestaltungsrichtlinie 2003/88/EG vom 18.11.2003 geregelt.

Grundsätzlich sieht das Bundesurlaubsgesetz den Verfall des Urlaubsanspruchs am Ende des Kalenderjahres bzw. am Ende eines Übertragungszeitraums von drei Monaten im nächsten Kalenderjahr vor. Dass diese Vorschriften nicht anwendbar sein können, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht auf seinen Urlaubsanspruch hingewiesen hat und über die Verfallsfrist aufgeklärt hat, hatte das BAG bereits 2019 entschieden (BAG vom 19.02.2019, 9 AZR 423/16).

Weiterhin gilt die allgemeine dreijährige Verjährungsfrist, beginnend am Ende des Kalenderjahres in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist. Sie dient grundsätzlich Rechtssicherheit, soll also sicherstellen, dass der Arbeitgeber sich darauf verlassen kann, nicht mit angehäuften Ansprüchen von länger zurückliegenden Zeiten finanziell belastet zu werden. Diese Erwägung ist jedoch nachrangig, wenn der Arbeitgeber es versäumt, dem Arbeitnehmer zur Durchsetzung seines Urlaubsanspruchs zu verhelfen und damit die Erholung und den Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers sicherzustellen. Dieser Zweck ist hier vorrangig, da es nicht auf die Arbeitnehmer zurückfallen soll, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungspflicht versäumt. Die Verjährungsnormen kommen dann nicht zur Anwendung. Die Verjährung kann vielmehr erst beginnen, wenn der Arbeitgeber seine Hinweispflicht nachgeholt hat. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer damit in die Lage versetzen, seinen Urlaubsanspruch auch tatsächlich ausüben zu können. Nimmt der Arbeitnehmer den Urlaub trotz dessen nicht, kann die Verjährung bzw. der Verfall beginnen. Es liegt damit im Macht- und Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, ob die Ansprüche verfallen der nicht.

Eva Ratzesberger

Fachanwältin für Arbeitsrecht *

Rechtsanwältin Eva Ratzesberger ist bei AfA in allen Angelegenheiten des Individual- und Kollektiv-Arbeitsrechts tätig. Neben der bundesweiten Vertretung von Betriebsräten in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, in Einigungsstellen sowie bei Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen berät sie diese bei der Erstellung von Betriebsvereinbarungen.

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