Muss ein Arbeitsvertrag schriftlich geschlossen werden?

Muss ein Arbeitsvertrag schriftlich geschlossen werden?
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Ein Arbeitnehmer arbeitet mehrere Monate bei einem Arbeitgeber. Dann beruft sich der Arbeitgeber darauf, dass kein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliege. Der Arbeitnehmer sei also gar nicht bei ihm angestellt. Stimmt das?

Nein, natürlich nicht. Ein Arbeitsvertrag muss nicht schriftlich vereinbart werden. Auch durch mündliche Abreden oder das schlüssige Verhalten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber entsteht ein Arbeitsverhältnis, aus dem der Arbeitnehmer sämtliche Rechte herleiten kann.

Dies wurde in einem aktuellen Fall vom Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein noch einmal ausdrücklich festgehalten.

Zum Sachverhalt: Arbeitnehmerüberlassung oder Arbeitsvertrag?

Das LAG Schleswig-Holstein hatte in einem komplexen Fall zu entscheiden, ob zwischen dem Arbeitnehmer und der Arbeitgeberin ein wirksamer Arbeitsvertrag zustande gekommen war. Der Arbeitnehmer war zunächst in einer anderen Konzerntochter tätig gewesen, wechselte schließlich aber zur aktuellen Arbeitgeberin in demselben Konzern. Hier wurde ihm eine Willkommensmappe mit Regelungen zu seinem neuen Arbeitsplatz übersendet. Auch stimmte der Betriebsrat dieser Arbeitgeberin der Einstellung des Arbeitnehmers zu. Seine Arbeit trat er einige Wochen später an, ohne bis dato einen neuen schriftlichen Arbeitsvertrag unterzeichnet zu haben. Auch auf seine Nachfrage kam es nicht dazu.

Nachdem der Arbeitnehmer einige Monate im Betrieb der Arbeitgeberin gearbeitet hatte, wendete sich der vorherige Arbeitgeber an den Arbeitnehmer. Er legte ihm eine Zusatzvereinbarung zu dem noch nicht beendeten Arbeitsvertrag zwischen den beiden vor. Der Arbeitnehmer unterschrieb diese unter Druck. Gemäß dieser Regelung sollte er von dem alten Arbeitgeber an die neue Arbeitgeberin überlassen werden (im Sinne der Arbeitnehmerüberlassung); ein neues Arbeitsverhältnis sollte dabei nicht zustande kommen. Der Arbeitnehmer klagte auf Feststellung, dass bereits ein wirksamer Arbeitsvertrag mit der „neuen“ Arbeitgeberin entstanden sei.

Sein Gehalt bezog der Arbeitnehmer ununterbrochen von seiner vormaligen Arbeitgeberin.

Zur Entscheidung: Arbeitsvertrag durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen

Das LAG gab dem Arbeitnehmer, wie schon die erste Instanz, Recht. Zwischen ihm und der Arbeitgeberin sei durch schlüssiges Verhalten ein wirksames Arbeitsverhältnis entstanden. Der Arbeitnehmer habe durch die Aufnahme der neuen Arbeit bei der Arbeitgeberin seine Arbeitskraft dieser wirksam angeboten. Die Arbeitgeberin habe das Angebot durch stillschweigendes Gewährenlassen angenommen. Ein Anhaltspunkt dafür, dass der Arbeitnehmer nur im Rahmen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes an die Beklagte überlassen werden sollte, liege nicht vor. Vielmehr spreche das Übersenden der Willkommensmappe dafür, dass ein neuer Arbeitsvertrag unmittelbar mit der Arbeitgeberin geschlossen werden sollte. Auch dass der Arbeitnehmer das Gehalt weiter von der vorherigen Arbeitgeberin bezogen habe, ändere daran nichts.

Zwar sei unstreitig kein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen worden, obwohl der Tarifvertrag dafür die Schriftform vorgesehen habe. Dieses Formerfordernis sei jedoch keine zwingende Vorschrift. Werde es nicht eingehalten, so hindere dies nicht das Entstehen eines Arbeitsvertrags auf andere Weise. Man spricht vom sog. „deklaratorischen“ Schriftformgebot.

Fazit „Muss ein Arbeitsvertrag schriftlich geschlossen werden?“

Arbeitsverträge werden in aller Regel schriftlich geschlossen. Der Arbeitnehmer sollte sich auf rein mündliche Absprachen auch nicht einlassen – schon aus Gründen der Beweisbarkeit. Allerdings ist der Arbeitnehmer nicht rechtlos gestellt, sollte kein schriftlicher Vertrag geschlossen sein: Auch ohne schriftliche Einigung kann ein Arbeitsverhältnis entstehen, aus dem der Arbeitnehmer sämtliche Rechte herleiten kann (Entgelt, Kündigungsschutz, etc.). Gerade bei der Abgrenzung zur Arbeitnehmerüberlassung ist dies von Bedeutung.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 07. August 2018 – 1 Sa 23/18

Marc-Oliver Schulze

Fachanwalt für Arbeitsrecht und Datenschutzexperte

Rechtsanwalt Marc-Oliver Schulze unterstützt Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte und Konzernbetriebsräte deutschlandweit, u.a. bei Interessenausgleich- und Sozialplanverhandlungen (auch in der Insolvenz), in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, in der Einigungsstelle und bei der Erstellung von Betriebsvereinbarungen.

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